Tafraoute
29. April 2023 – Von Agadir nach Tafraoute
Heute müssen wir uns schweren Herzens vom Atlas Kasbah verabschieden – die Herzlichkeit, auf die wir hier getroffen sind, war absolut einzigartig!
Rund 70 Kilometer hinter Agadir ist der befestigte Getreidespeicher Agadir Inoumar zu finden, hier wollen wir auf unserer Fahrt nach Tafraoute den ersten Zwischenstopp einlegen. Das Agadir liegt ein paar Kilometer von der R 105 entfernt. Am Straßenrand hüten Hirten ihre Ziegen, die malerisch in den knorrigen Arganienbäume stehen und sich an dem frischen Grün und den Früchten laben. Auch ornithologisch gibt es einiges zu entdecken, wie Wiedehopfe, die uns jedes Mal begeistern, wenn wir sie zu Gesicht bekommen.


Hinter dem Dörfchen Ataiane ist das Agadir ausgeschildert. Wir stellen unser Auto auf dem Parkplatz ab, ein „Parkplatzwächter“ stellt mitten im Nirgendwo ein Parkticket über 10 Dirham aus! Von hier aus führt ein neugebauter Pfad hinab in Richtung Flussbett. Wir passieren die Ruinen einer alten jüdischen Synagoge und stehen nach 500 Metern vor dem beeindruckenden um 1750 erbauten Bauwerk, das als architektonisches Juwel der Berberkultur gilt.
Das massive Tor zum alten Speicher ist noch verschlossen, aber aus dem Dorf am Fluss eilt bereits ein junger Mann hinauf, der sich mit Abderahman vorstellt.


Er sei der einzige Führer des Agadirs und habe die Aufgabe, Touristen das historische Bauwerk zu zeigen, geerbt, erklärt er stolz. Bereits sein Vater sei zuvor der Hüter des Schlüssels zum Agadir gewesen.
Das Agadir Inoumar zeugt von enormem, architektonischem und organisatorischem Einfallsreichtum. Das gesamte Bauwerk ist von einer Mauer umgeben mit vier Wachtürmen, die von den Bewohnern, deren Besitztümer sich im Speicher befanden, abwechselnd besetzt wurden. Innerhalb der Mauern befinden sich 295 „Tresore“, in denen die Familien aus dreizehn umliegenden Dörfern ihre wertvollen Gegenstände, Dokumente mit Heiratsurkunden sowie Lebensmittel deponieren konnten. Damit war das Hab und Gut geschützt vor Diebstählen und Überfällen, während die halbnomadisch lebenden Berberfamilien ihre Ziegen- oder Schafherden zu neuen Futterquellen trieben. Jeder Tresor ist mit einer Miniaturtür aus Thuja- oder Eichenholz verschlossen. Flache Steine, die über die Wände hinausragen, dienen als Treppenstufen, um höher gelegene Kammern zu erreichen. Es gibt auch ein ausgeklügeltes Wasserreservoir, einen Gebetsraum und einen Unterstand für das Vieh.

Die Verwaltung des Agadirs wurde jeweils vom Amin, einem Vertrauensmann, übernommen. Abderahman gibt mir den hölzernen Schlüssel für den Agadir, und natürlich scheitere ich daran, den Mechanismus herauszubekommen, um das Tor zu öffnen. Der Rundgang und die Erklärungen unseres Guides sind wirklich beeindruckend, jedoch muss man schon ein bisschen französisch verstehen. Am Ende werden wir noch, wie es die marokkanische Gastfreundschaft gebietet, zum obligatorischen Tee und hausgemachten Gebäck eingeladen. 50 Dirham kostet die Führung und ist jeden Dirham wert!


Auf dem Rückweg zurück zum Auto sichten wir noch einen interessanten Vogel, einen Maghreb Steinschmätzer, eine endemische Variante des in unseren Breiten bekannten Steinschmätzers.

Zurück auf der R 105 setzen wir unseren Weg fort. Es geht nun auf einer kurvigen und aussichtsreichen Passstraße in die Berge. Das Thermometer ist mittlerweile auf über 35° gestiegen – an Wanderungen wird an unserer nächsten Destination kaum zu denken sein!
Wir passieren die Kasbah von Tizourgane, ein altes Dorf, das malerisch auf einer Bergkuppel errichtet worden ist. Es wurde bereits im 13. Jahrhundert aufgrund von Auseinandersetzungen verfeindeter Berberstämme als Zufluchtsort gegründet. Heute leben hier nur noch drei Familien, die sich mit viel Liebe um den Erhalt der Gemäuer kümmern. Kaum haben wir am alten Tor der Kasbah angeklopft, da wird uns auch schon Einlass gewährt. 20 Dirham Eintritt kostet die Besichtigung, die zum Erhalt der Kasbah verwendet wird. Wir machen einen Rundgang, bestaunen den guten Zustand des Gemäuers und lassen uns anschließend auf der Dachterrasse mit phantastischem Ausblick auf die umliegende Berglandschaft zu einer kleinen Erfrischung und einem Snack nieder. Man kann in der Kasbah auch authentische Gästezimmer buchen.

Uns zieht es jedoch weiter zu unserer gebuchten Unterkunft, der Auberge Kasbah Chez Amaliya* am Eingang ins Tal der Ammeln.
Schon beim Empfang bemerken wir, dass wir unsere Ansprüche nach unserem kongenialen Aufenthalt im Atlas Kasbah, wo man uns jeglichen Wunsch förmlich von den Lippen abgelesen hat, herunterschrauben müssen. An der Rezeption geht es geschäftsmäßig, professionell, aber eben nicht annähernd so herzlich zu, wie im Atlas Kasbah oder unseren anderen bisherigen Unterkünften. Die Auberge Kasbah Chez Amaliya* verfügt über einen großen Pool vor einer atemberaubenden Bergkulisse. Unser gebuchter Twin-Room ist klein und funktional eingerichtet und hat eine Klimaanlage, die wir in dieser Nacht bei den Temperaturen auch gut gebrauchen können.

Gegen Abend machen wir noch einen kleinen Abstecher in die kleinen Dörfer des Ammelntals. Die Ammeln gelten als ein freundliches Völkchen, überall begrüßt man uns mit einem herzlichen „Bonjour, ça va“! Viele der alten Häuser, die an den steilen Felsen kleben, sind verlassen und dem Zerfall ausgesetzt, da man auch hier unter einer Landflucht leidet.

Das Abendessen nehmen wir in einem wenig gemütlichen Speisesaal unserer Unterkunft ein – unserem Wunsch, draußen am Pool unser Dinner einzunehmen, will man nicht entsprechen. Das würde bedeuten, dass der Service ein paar Schritte mehr laufen müsste! Die Bedienung ist bemüht, aber wirkliche Gemütlichkeit will in diesem Ambiente nicht aufkommen. Das Essen ist halbwegs in Ordnung, wenn auch kein kulinarisches Erlebnis – da haben wir in den letzten Tagen schon deutlich besser und vor allem authentischer gespeist. Das Chez Amaliya wird definitiv nicht zum Lieblingshotel dieser Reise!
30. April 2023 – Bunte Steine und eine malerische Palmenoase
Das Frühstück im Chez Amaliya kommt leider ebenfalls lieblos daher. Convenience ist angesagt, in Plastik abgepackte Butter und Streichkäse, marokkanische Komponenten Fehlanzeige!
Nachdem wir uns bei Lisbeth, der sehr freundlichen Inhaberin des Chez Amailiya, über den Straßenzustand der Rundtour durch den Ait Mansour Gorge erkundigt haben, starten wir unseren Tagesausflug früh am Morgen, da die Temperaturen zu dieser Tageszeit noch erträglich sind. Wenige Kilometer vom Tal der Ammeln entfernt gibt es eine besondere, von Winderosion geschaffene Felsformation aus Granit, den „Chapeau Napoléon“ (Napoleonshut), der einen kurzen Foto-Stopp lohnt.

Die Granitberge in der Umgebung haben teilweise bizarre Formen. Man könnte meinen, ein Riese habe mit großen Felskugeln um sich geworfen und sie wahllos in der Gegend verteilt! In diese Landschaft hinein hat der belgisch Künstler Jean Vérame im Jahre 1984 Felsformationen bunt bemalt, Les Peintures genannt. Der Ort strahlt in der Morgensonne etwas Magisches aus. Wir klettern eine Weile durch die bunte Felslandschaft und finden eine Vielzahl interessanter Foto-Motive. Leider haben sich ein paar Unverbesserliche mit Kritzeleien und Graffitis auf Steinen verewigt.



Eine sehr lohnende Tagestour ist die Rundfahrt durch den Ait Mansour Gorge, einer grünen Palmenschlucht. Laut Lisbeth sei auch das letzte Stück der Rundtour mit einem normalen PKW befahrbar – in der Literatur ist diesbezüglich Widersprüchliches zu lesen. Zunächst fahren wir eine kurvige Passstraße empor auf eine idyllische, grüne Hochebene. Es eröffnet sich nach und nach der Blick auf eine spektakuläre Berglandschaft. Der Straße folgend gelangen wir in die Ait Mansour Schlucht, in der ein von senkrecht aufragenden roten Granitfelsen eingeschlossener Palmenhain mit üppigen Oleanderbüschen zu finden ist.
Im Weiler Douar Tiouri stellen wir unser Auto ab und streifen eine Weile durch die schattige Oase – hier lässt es sich selbst bei Temperaturen um 36° Grad eine kleine Wanderung unternehmen!


Unterwegs entdecken wir noch die eine oder andere spektakuläre Felsformation. Später in Tizerkine endet die Asphaltstraße und geht über in eine holprige Piste. Tatsächlich lässt sich dieser ungefähr 20 Kilometer lange Streckenabschnitt bei umsichtiger Fahrweise mit einem normalen PKW ohne weiteres bewältigen.

Schließlich erreichen wir wieder unseren Ausgangspunkt und fahren auf direktem Weg zurück zu unserer Unterkunft, wo wir uns eine Weile am Pool ausruhen. Unser abendlicher Spaziergang durch Tafraoute ist eher unspektakulär – so viel gibt der Ort einfach nicht her, zumal heute Sonntag ist und die meisten Geschäfte des Mini-Souks geschlossen sind.
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Andy Krainhöfner
Kommt gut zurück! wünschen Inge & Andy